So hielt es der Hobbymaler Bruno Kaltz 1995 vor seiner Renovierung in seinem Skizzenbuch fest, das Wierschemer Marienkapellchen am Ortsausgang in Richtung Keldung. Nach neuesten Recherchen durch die Dorfchronistin Johanna Schneider wurde es gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von der Familie Johann Müller, Inhaber der Gastwirtschaft „Zur Linde", Dorfschmied und Ortsvorsteher,auf seinem Acker vor dem Dorf erbaut,aus Dankbarkeit. Aus Dankbarkeit zur Mutter Gottes, weil ihre kinderreiche Familie (13 Kinder!) von dem arg grassierenden Kindstod verschont blieb, so bestätigte vor wenigen Wochen eine in Kamp-Bornhofen ansässige Urenkelin des Erbauers.
Im Laufe der Jahrzehnte und der beiden Weltkriege überstand es eine wechelvolle Geschichte. Der nachfolgende Besitzer, der im Dorfzentrum neben der Gaststätte noch eine Kegelbahn betrieb, kam noch vor dem Zweiten Weltkrieg in finanzielle Not, verkaufte sein Haus und seine Felder an die Wirtschaftliche Bauernbank Wierschem und verl ieß 1939 den Ort. Die Bank veräußerte später die Felder und machte aus dem Gasthof die neue, schmucke Raiffeisenbank Wierschem mit Schalter und Warenlager. Das Kapellchen aber wollte niemand haben. So trennte man kurzerhand das Kapellchen und die dahinterstehende Linde, die um 1900 von Lehrer Beß lich mit seinen Schülern gepflanzt worden war, vom Acker, vertraute die Pflege der nebenan wohnenden Familie Hürter (später Schneider) an und hoffte auf die Hilfe der Gottesmutter,die in Krankheit,Not und Krieg schon so vielen beigestanden hatte. Als die Raiffeisenbank nach dem zweiten Weltkrieg ihren Hauptsitz nach Münstermaifeld verlegte und sich mit vielen Filialen rundum erweiterte und in den neunziger Jahren sogar mit der Ochtendunger Raiffeisenbank zur Raiffeisenbank Maifeld fusionierte, war es den „ungewollten" Inhabern des Kapellchens eine größere Summe wert, es der Gemeinde Wierschem samt Linde anzubieten, um es in berufenere Hände zu legen und vor dem Verfall zu bewahren.
Die Linde aber hatte über die Jahrzehnte mit ihren mächtigen Wurzeln das kleine Bauwerk gehoben, dass es mehrfach geborsten war; der Regen nähr te den Salpeter in den Wänden, und Sturm und Äste hatten dem Dach arg mitgespielt. Eine Spezialfirma verlangte allein für die Salpeterbehandlung 20.000 Mark. Das aber ging bei weitem über den finanziellen Spielraum, und dann fand man auf Anregung von Bernd Lellmann, Wierschemer Bürger und Bankleiter in Münstermaifeld, einen gangbaren, für Ortsbewohner öfter praktizieren Weg: Renovierung in Eigeninitiative!
Die Raiffeisenbank überschrieb das Kapellchen kostenfrei an die Gemeinde und stiftete eine größere Summe als Grundlage; der Gemeinderat übernahm die Planung und Ausführung der Arbeiten in Kooperation mit dem Männerverein, und die katholische Frauengemeinschaft unter Federführung von Franziska Schneider verwaltete die Finanzen und übernahm die zusätz lichen Kosten. Dem Aufruf von Ortsbürgermeister Hans Larscheid folgten nahezu alle Fachleute und Handwerker. Der Kastellan der Burg Eltz stand mit fachlichem Rat zur Seite. Zimmerleute rissen das morsche Dach ab und ersetzten es durch ein neues; Dachdecker versahen es mit Pappe und Schiefer, Klempner mit einer kupfernen Dachrinne. Die Fundamente wurden freigelegt und die dicken Wurzeln der Linde gekappt; Maurer legten einen Ringanker,flickten die Risse und sanierten die Fundamente. Der alte Putz wurde innen entfernt und von einem Spezialisten mit einem doppelten Sanierputz ersetzt; außen trug ein anderer in mühevoller Kleinarbeit auf die vorspringenden Ecken einen grauen und auf die Zwischenfelder einen leuchtend weißen Putz auf.
Fenster und Tür wurden von einem Stifter mit einem Basaltgewände versehen und das Fenster mit einer doppelten Bleiverglasung; Boden und Altar wurden in heimischen Basalt ausgelegt. Ande re suchten auf dem ehemaligen Schuttplatz nach (alten) Pflastersteinen der alten Dorfstraße und pflasterten damit den Zugang und einen Ring um das Gebäude. Ein Schreiner zimmerte während der langen Winterabende im Auftrag weiterer Stifter eine Sitz- und Kniebank und eine neue Tür. Noch vor Ostern 1997 gestalteten Gartenfacharbeiter die Anlage davor mit dem Basaltkreuz und dem Meilenstein aus Napoleonischer Zeit, und Anstreicher legten innen letzte Hand an, bevor Anfang Mai mit kunstfertiger Hand die Altarnische mit einem Kranz aus Rosen geschmückt wurde.
Nun konnte die Lourdes-Madonna, die zwischendurch auch restauriert worden war, nach fast zweijähriger Abwesenheit wieder auf ihren altgewohnten Platz zurückkehren mit ihrem „sechsgesätzigen"" Rosenkranz. Nach münd!icher Über lieferung soll das zusätzliche sechste Gesätz für die Verstorbenen gebetet werden. Mit Stolz und in Dankbarkeit schauen die zahlreichen Fachkräfte und Helfer auf ihr Kapellchen, das in neuem Glanz erstrahlt und hoffentlich auch im nächsten Jahrhundert dank der Pflege der Nachbarn und der Fürsorge der katholischen Frauengemeinschaft den Bürgern mit all ihren Sorgen und Anliegen offensteht.
Text von Hans Larscheid